Der Vegetarier, der Schweine schlachtet
Norbert Hackl züchtet Schweine, die vom Anfang bis zum Ende ein gutes Leben haben. Und verarbeitet sie dann vom Rüssel bis zum Schwanz.
Wenn es eine Botschaft gibt, die Norbert Hackl in die Welt tragen will, dann ist es die: Wir müssen aufhören, so viel Fleisch zu essen. Das ist keine neue Feststellung, wir alle wissen das. Deshalb wäre seine Botschaft keine sehr originelle. Wäre da nicht diese Kleinigkeit, sein Beruf nämlich: Norbert Hackl züchtet Schweine. “Wenn wir alle einmal kein Fleisch essen, bin ich der Letzte, der was dagegen hat”, sagt er trotzdem. “Müsste ich halt meinen Betrieb umstellen.” Er bezeichnet sich selbst als “Auswärts-Vegetarier” und meint damit, dass das Fleisch seiner Schweine das einzige ist, das er isst.
Vor 15 Jahren startete er sein Projekt, bei Burgau an der steirisch-burgenländischen Grenze nahe Stinatz ein Schweineparadies zu errichten. Hat begonnen, alte Schweinerassen - Schwäbisch-Helle und Duroc - zu züchten, die im Freien leben und trotzdem weniger Fett haben als Mangalitza-Schweine. Schweine so zu halten, wie sie leben wollen. Ein Wissen, dass sich Hackl erst anlernen musste.
Alle neun Sekunden wird in Österreich ein Schwein geschlachtet. 5,1 Millionen Schweineleben forderte der unstillbare Hunger der Österreicher im Jahr 2017. Der “Schweinefleischanfall”, wie die Menge des produzierten Fleisches im Fachjargon heißt, lag im Vorjahr bei 508.000 Tonnen. Über 30 Kilo Schwein isst ein Österreicher durchschnittlich pro Jahr und Kopf. Und am liebsten nur die besten Teile. 150.000 Tonnen an schweinischen Abfallprodukten entstehen deshalb pro Jahr; Haxen, Ohren, Blut und so weiter. Teilweise werden sie nach China verkauft, teilweise einfach entsorgt.
Ein konventionell gehaltenes Schwein sieht sein Leben lang kein Sonnenlicht und lebt auf einem Quadratmeter Stall mit Betonboden. Bis zum siebenten Tag dürfen männliche Ferkel weiterhin ohne Betäubung kastriert werden. Massenproduktion für den Massenmarkt. Gerade einmal 1,33 Euro hat ein Bauer pro Kilogramm Schweinefleisch Ende Mai bekommen. Aufgrund der Grillsaison, schreibt die Seite “landwirt.com”, steigt die Nachfrage nach Schweinefleisch aktuell: “Dementsprechend spürbar war die Sogwirkung am Lebendmarkt, auch Reste von feiertagsbedingten Vorwochenüberhängen fanden beschleunigt den Weg zum Schlachthaken.” Wenn Tiere zu “feiertagsbedingten Vorwochenüberhängen” werden, ist die Verdinglichung des Lebewesens perfekt.
Auf einer der Weiden des Labonca-Hofs brennt die Sonne herunter, manche Schweine rasten unter einer Überdachung im Stroh, eine fette Sau ist ein paar Meter weiter gerade im Schlamm versunken und lässt Luftblasen aufsteigen. “Ich weiß bis heute nicht, was sie da genau machen”, sagt Hackl. Aber sie scheinen Spaß zu haben. Rund 300 Quadratmeter Platz hat ein Schwein hier, 300 Mal mehr als bei konventioneller Tierhaltung. Und fast 150 Mal so viel wie bei Biohaltung, auch da muss ein Schwein nur rund zwei Quadratmeter Auslauf haben, und die nicht auf einer Weide.
Viele Konsumenten sind stolz auf sich, bio zu kaufen und dafür tiefer ins Geldbörsl zu greifen. Wie macht man ihnen klar, dass dieser Schritt vielleicht nicht ausreicht, dass bio besser, aber nicht gut ist? “Für den Konsumenten ist diese Komplexität schwierig zu sehen” sagt Hackl. Er lädt Interessierte ein, seinen Hof zu besuchen. “Man muss das Ganze herzeigen und transparent machen. Dann erst spürt der Konsument, dass das Fleisch im Supermarkt viel zu billig ist.”
Ein Problem hat aber auch Hackl viele Jahre geplagt: Das Ende des Schweinelebens. Die letzten Stunden verbringen Schweine normalerweise in einem Transporter, bis zu 24 Stunden lang dürfen sie durchgehend unterwegs sein. Letzten Endes landen sie an einem Schlachthof, wo sie entweder mit Elektroschocken oder CO2 betäubt werden. Beide Verfahren stehen unter Kritik, weil immer wieder Tiere unbetäubt bleiben. Nicht bei Labonca. 2015 hat Hackl das erste Weideschlachthaus Österreichs fertiggestellt.
Und nie, erzählt er, bleibt ein Tier alleine auf der Weide vor dem Schlachthof zurück. Mit den Preisen der konventionellen Landwirtschaft kann er so natürlich nicht einmal annähernd mithalten. 500 Euro kostet es Hackl, ein 100-Kilogramm-Schwein zu züchten, also fünf Euro pro Kilogramm - würde er also dieses Fleisch zum normalen Handelspreis verkaufen, wäre sein Unternehmen schwer defizitär. “Wir arbeiten Nose-to-Tail, wir müssen vom Rüssel bis zum Schwanz alles wertschätzend verkaufen. Wir versuchen aus allem etwas zu machen und aus allem etwas gutes zu machen”, sagt Hackl.
Nicht nur Frischfleisch, auch Schinken, Salami und Verhackertes. Sein Leberkäse ist grau statt rosa, weil er auf Nitrat und Phosphat verzichtet. Auch das muss er dem Konsumenten erklären, genauso wie die Preise. Deshalb lädt er seine potentiellen Kunden ein auf den Hof, sie sollen sehen und erleben, warum es sich auszahlt, so viel für Fleisch auszugeben. “Dann sieht er, dass das, was wir bieten, genau dem entspricht, was Fleisch wert sein sollte.” Denn grundsätzlich sei der Preis und Wert des Essens in Österreich viel zu niedrig.
Aber kann sich das jeder leisten? Der Schweinebauer kommt zu seinem ursprünglichen Punkt zurück: “Wenn man bereit ist, weniger Fleisch zu essen oder das Fleisch auf dem Teller zur Beilage zu machen, dann hat man auch kein Problem mit dem Brieftaschl, sondern kann mit gleichem Budget viel hochwertigeres Fleisch essen.” Zumindest bis man auch darauf verzichtet und Norbert Hackl seinen Traum erfüllt hat, arbeitslos zu werden.
Text und Recherche Thomas Trescher
Video Paul Batruel
Icon: mynamepong
Musik: Loyalty Freak Music-Summer Pride, Cullah-King Jedediah The Falcon Messiah, Uncle Milk-Jimnopedies